Von alten Hasen und jungen Hüpfern (Uraltpredigt – neu entdeckt)

1/2 Jahr vor dem Ruhestand bin ich in Ratzeburg im Pastoralkolleg zur letzten Kurswoche meines aktiven Pastorinnendaseins. Der Kurs 23: „Von alten Hasen und jungen Hüpfern“ soll helfen, die Berufstätigkeit rund werden zu lassen und versöhnt und gelassen in den Ruhestand zu gehen. Inhaltlich begleiten uns das Höhlengleichnis von Sokrates und der Philosph Hans Blumenberg mit seiner Rede von den Höhlenausgängen. Jeden Morgen hören wir einer Andacht zu, die von einer Vikarin  oder einem Vikar gehalten wird. Ganz junge Kolleg*innen auf dem Weg hinein in den Beruf, während ich auf dem Weg hinaus bin. Und eine junge Kollegin in Spe hält eine Andacht über das berühmte „Fürchte dich nicht“ Gottes in der bibel. Ich steige hinab in dei Höhle meiner Erinnerungen und weiß, darüber habe ich auch mal gepredigt! Im letzten Jahrhundert -ja Jahrtausend!- sprich: 1997! So gehts einem als alter Häsin. Doch gleichzeitig lerne ich etwas Neues: Dieses „Fürchte dich nicht“ taucht 365 Mal in der Bibel auf (gezählt hatte ich damals nicht!): für jeden Tag einmal! Zuhaus angekommen muss ich gleich diese alte Predigt suchen und um diesen Zahlensatz ergänzen:

da sitzt der Prophet Johannes aus Ephesus einsam auf einem felsigen Eiland. Auf der kleinen Insel Patmos – 70 km vor der Westküste der heutigen Türkei. Er führt ein Inseldasein, getrennt von seiner Familie und schlimmer noch von seiner Gemeinde: der Gemeinschaft Gleichgesinnter.

So ein Inseldasein hat für mich etwas Erschreckendes und Faszinierendes zugleich. Einerseits kenn‘ ich ihn gut, diesen Wunsch einmal auf einer einsamen Insel zu leben, fernab von allen Segnungen der Zivilisation. So wie Robinson einmal das Abenteuer zu erleben, ganz auf mich allein gestellt zu sein. Nur – ganz so einsam sollte sie dann doch nicht sein die einsame Insel.  Aus Ratespielen und angeblichen Psycho-Tests kennen wir
sie, die Frage: „Wen oder was möchten Sie mitnehmen auf eine einsame Insel?“ Und selbst Robinson ist ja ohne seinen Freytag kaum denkbar.
Aber die meisten würden sicherlich antworten: der geliebte Partner/die geliebte Partnerin soll mit auf die Insel. Nicht umsonst ist die einsame Insel Traum aller Verliebten.

Aber Inseln können auch zum Alptraum werden: rings um nur Wasser, Weite, Wellen, Himmel und bis zum Horizont kein rettendes Schiff.
Einige berühmt berüchtigte Zuchthäuser liegen auf Inseln. Oft dienen Inseln als Verbannungsorte für politische Gegner.  So sind sie auch Symbol für Isolation, Unfreiheit, Tod.

Auch Johannes damals mag oft genug sehnsüchtig zum Festland geblickt haben, hinüber zu seinen Freunden, zu seiner Gemeinde, hinüber zu Freiheit und Leben.
Aber man muß wohl nicht gefangen oder verbannt sein, um dieses Inseldasein nachempfinden zu können. Jeder kranke, ans Bett gefesselte Mensch lebt hier mitten unter uns auf so einer Insel der Isolation. Jedes Altenpflegeheim ist so eine Insel. Auf so einer Insel zu sein, bedeutet ein eingegrenztes , gefesseltes Dasein.  Jedes 5te Kind lebt bei uns unterhalb der Armutsgrenze und in den politischen Debatten wird um die sog. „gesellschaftliche Teilhabe“ gerungen, denn wer ausgeschlossen ist von der bunten, quirligen Vielfalt des Lebens der lebt auch auf einer Insel!

So jemand hat nicht die Fülle des Lebens, sondern er spürt gleichsam schon den Schatten des Todes über seinem Leben.
Diese Inseln unter dem Schatten des Todes kennen ja nicht nur Bedürftige und Obdachlose, Kinder, Alte und Kranke; ich selbst kenn‘ sie auch und ich bin sicher, Sie alle kennen sie auch. Sie sind so zahlreich vorhanden in unserer modernen Gesellschaft, dass ich manchmal den Eindruck habe, Menschen hangeln sich ihr ganzes Leben lang von einer Insel unter dem Schatten des Todes zur nächsten. Da sind die Inseln der Angst. Angst vor den Menschen, Angst vor dem Leben, Angst vor dem Sterben. Da sind die gesellschaftlich gemachten Inseln: Arbeitslosigkeit, Armut, Unterdrückung, Verfolgung, Flucht, Bürgerkrieg, Ausbeutung. Da sind die Inseln der Trauer und des Schmerzes z.B. nach dem Verlust eines geliebten Menschen sei es durch Scheidung, Trennung oder Tod.

Und da sitzt also auch Johannes damals auf seiner Insel, der Insel Patmos. Er ist herausgerissen aus der Geborgenheit seiner Gemeinde; verbannt aus der Gemeinschaft derer, die ihm lieb und teuer sind. Man hat ihm seine Aufgabe genommen, das Predigtamt in seiner Gemeinde ist ihm verwehrt, er hat gewissermaßen „Berufsverbot“. Man hat ihn um Inhalt und Ziel seines Lebens gebracht. Offensichtlich hatte seine Predigt die öffentliche Ruhe und Ordnung gestört und so hat man ihn – um dieser Ordnung willen – aus der Fülle des Lebens verbannt; hat ihn zum Inseldasein verdammt.

Vielleicht ist es gerade diese Einsamkeit der Insel, diese schier unerträgliche Stille, dieses gnadenlose Abseits von aller lebendigen Gemeinschaft, die Johannes empfänglich machen für die Stimme Gottes. An einem Sonntag, „am Tag des Herrn“, wo die Einsamkeit besonders schmerzt, weil weit entfernt die Schwestern und Brüder ohne ihn Gottesdienst feiern, da trifft ihn unüberhörbar die Stimme Gottes, wie eine Posaune, wie das Donnern eines Wasserfalls.
All die anderen Stimmen in Johannes: die Stimmen der Verzagtheit und des Zweifels und der Mutlosigkeit, all die anderen Stimmen, die in den letzten Wochen seine grüblerischen Selbstgespräche ausgemacht haben, werden übertönt von der einen Stimme Gottes: „Fürchte dich nicht!“
Das ist gewissermaßen die Erkennungsmelodie, wenn Gott mit uns Menschen redet.
„Fürchte dich nicht!“ sagt der Engel zu Maria, als er die Geburt ihres Sohnes ankündigt. Dieses „Fürchte dich nicht!“ befreit Maria zu einem gewaltigen und revolutionären Loblied auf Gottes Barmherzigkeit und Gerechtigkeit.
Es ist ja nicht mehr lange hin bis es wieder erklingt dieses:
„Fürchtet euch nicht!“ der himmlischen Heerscharen in der heiligen Nacht zu den Hirten „denn euch ist heute der Heiland geboren“.
„Fürchte dich nicht! Ich bin mit dir. Weiche nicht, ich helfe dir und ich stärke dich auch“ spricht Jesus Christus selbst all den Beladenen und Mühseligen zu.
„Fürchte dich nicht!“ das ist die Erkennungsmelodie Gottes!!!!!! Das macht Mut, das tröstet und gibt Kraft.
365 Mal steht dieses „Fürchte dich nicht!“ in der Bibel! Für jeden Tag einmal! Das kann ich gut gebrauchen:
Das gilt jedem einzelnen von uns ganz persönlich; das gilt mir und Ihnen…… und Ihnen….. und stärkt uns den Rücken. Wenn dieses „Fürchte dich nicht!“ erschallt, dann stehen Menschen auf für die Gerechtigkeit Gottes hier auf Erden.

Dann verändern Menschen im Namen Gottes diese Welt und geben ihr ein freundlicheres Gesicht. Wer dieses „Fürchte dich nicht!“ hört, der baut mit an Gottes Reich des Friedens und der Gerechtigkeit.
„Fürchte dich nicht!“ erschallt auch dem Johannes auf Patmos und schreckt ihn aus seiner Isolation auf.
Als die Klauen der Depression (und des Todes) ihn schon fast überwältigt hatten, da reißt ihn die Stimme Gottes, die Stimme des auferstandenen Jesus Christus, zurück ins Leben. „Fürchte dich nicht! Ich bin der Lebendige. Ich habe Macht über Tod und Leben“ ruft Jesus ihm zu.

Es gibt keinen Ort, an dem die Wirksamkeit und Anwesenheit Gottes aufgehoben wäre: die einsamste Insel, das tiefste Leid, die traurigste Dunkelheit und der größte Schmerz, ja der Tod selbst sind von ihm durchlitten und überwunden worden. Selbst da, wo scheinbar der Tod regiert, eröffnet Jesus Christus Wege zum Leben. „Schreib auf, was du siehst; zuerst die Lage, wie sie jetzt ist, und dann, was später geschehen wird, die Gegenwart und die Zukunft.“ Mit diesem Auftrag kann Johannes die Begrenztheit seines Inseldaseins durchbrechen.
Er schreibt ja auch wirklich alles auf, schreibt ein Buch, sein Buch, die Offenbarung des Johannes! Er hat seinen Platz unter den Lebenden wiedergefunden. Seine Insel ist dem Schatten des Todes entrissen. Sie ist kein Alptraum mehr.
Johannes fühlt sich nicht mehr aus der Fülle des Lebens verbannt, sondern…..wieder als lebendiger Teil der großen christlichen Gemeinschaft.
Denn für diese Gemeinschaft hat er wieder eine sinnvolle Aufgabe.
Ein nüchterner Skeptiker könnte jetzt wohl anführen: es hat sich doch gar nichts geändert! Johannes macht doch jetzt nur einfach das Beste aus seiner Situation! Richtig, aber die Kraft dazu, ist ihm geschenkt durch Jesus Christus.  Weil Johannes ihn lebendig erlebt hat, wird er selbst wieder lebendig.  Aus dem Schatten des Todes taucht der alte Johannes neu und lebendig hervor.
Und trägt dazu bei, daß die Erkennungsmelodie Gottes sich ausbreitet in alle Welt….bis hin zu uns heute! Dass sie heute uns aufrütteln und lebendig und kräftig machen kann, das Beste aus jeder Situation zu machen und uns einzumischen in die Gestaltung dieser Welt hin zu mehr Gerechtigkeit, Frieden und Bewahrung der Schöpfung!
Die Stimmen von Hass und Nationalismus, Eigensinn und Menschenfeindlichkeit ertönen z.Zt. ja lauter denn je, und können einem schon ganz schön Angst machen, aber da tut es gut, sich von Gottes Stimme -jeden Tag!- den Rücken stärken zu lassen: „Fürchte dich nicht!“
Amen.

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