Predigt 1.3: Durch ihn die Welt sehen (Ostermontag)

„Er ist nicht hier!“ Als die 3 Frauen diese Worte hören, sind sie zu Tode erschrocken. Zittern und Entsetzen hat sie gepackt – so haben wir vorhin die Worte des Markus gehört. Sehr früh am Morgen, bei Sonnenaufgang, haben sich die 3 auf den Weg zum Grab gemacht, um ihrem lieben Verstorbenen die letzte Ehre zu erweisen. Sie tragen Salbgefäße mit sich, wohlreichende Öle sind darin, Balsam für den Leichnam, aber wohl auch Balsam für die eigene Seele.
So wie die 3 Frauen gehen auch wir an die Gräber lieber Verstorbener. Die Erinnerungen gehen mit, voller Dankbarkeit und schmerz, je nach dem, was für ein Gesicht der Tod gezeigt hat: erlösend nach langem Leben und leid oder viel zu früh, plötzlich aus der Lebensmitte heraus!

Es ist gut, dass es solche „Orte der Trauer gibt“; dass wir uns auf den Weg machen können, auf den Friedhof, in den Friedwald, ans Grab oder an einen anderen Ort der Erinnerung. Um dort unserem schmerz, unserer Trauer Raum zu geben. Und doch wissen wir zugleich: unsere verstorbenen -hier, an diesem Ort, da wir ihrer gedenken, sind sie nicht!
Bestattet oder verbrannt ist „nur“ die Hülle. Hier sind sie nicht.
„Er ist nicht hier!“ ganz ähnlich mag es Ihnen gehen, wenn Sie jetzt einmal das kleine Lesezeichen mit der Skulptur des Künstlers Helmut Droll zur Hand nehme.
Die stelle, an der Christus sein müsste, ist ausgespart bleibt leer. Wir schauen auf ihn, aber er ist nicht da. Wir schauen durch ihn hindurch.
Ausblick, so hat denn auch Helmut Droll sein werk genannt. Es zeigt lediglich die Umrisse des Auferstandenen und lässt uns doch -vielleicht gerade dadurch- etwas erahnen vom österlichen Geheimnis.
„Lichtdurchflutet werden die Grenzen des dunklen Kreuzes durchbrochen“ so beschreibt Helmut Droll seine Kunst und damit auch die Osterbotschaft!
Das dunkle Kreuz ist noch zu erkennen, aber es ist durchbrochen und läst den Blick in die Weite gehen!
Durch den Auferstanden hindurch geht der Blick neu in die Welt!
Es geht an Ostern nicht nur um eine schicksalhafte Wende im Leben einiger Menschen, es geht um die ganze Welt, den ganzen Kosmos.

Seit 2006 steht diese Skulptur am Waldrand bei Bad Kissingen auf dem „Weg der Besinnung“; zusammen mit noch 11 anderen Skulpturen desselben Künstlers.
Mir gefällt an dieser Skulptur, dass sie die bittere Wirklichkeit von Karfreitag, von Leiden, Tod und Schmerz nicht ausblendet, sondern integriert.
Das dunkle Kreuz bleibt sichtbar.
Und nicht nur das: ich kann seine rauen Kanten nicht nur sehen, sondern auch anfassen, mit Händen spüren.
Das erinnert mich an den trauernden und zweifelnden Thomas, der mit seinen Händen die Wunden des Aufer-standenen begreifen darf.
Wer sich allzu schnell über Trauer und Schmerz hinweg setzt, wer Menschen in ihrem Leid nicht ernst nimmt, der hat von Ostern nicht viel verstanden!
Auch Paulus betont in seiner großen Abhandlung über die Auferstehung, erst einmal die Realität des Todes. Im Kapitel davor schreibt er über Jesu Tod und Grablegung, bevor seine Worte über die Auferstehung beginnen. Der Auferstehungsglaube braucht Zeit, braucht Abstand von dem, was geschah.
Zwischen Karfreitag und Ostersonntag mag gerade mal ein Tag liegen, aber das ist der Zeitraffer-Erzählung der Evangelisten geschuldet!
In Wirklichkeit dauert das alles viel länger! So schnell wechseln wir von Verzweiflung zu österlichem Jubel in unserem Leben eher nicht!
Wer je einen geliebten Menschen verloren hat, der wird dies aus eigener Erfahrung bestätigen können!
Da kann mitnichten davon die Rede sein, dass sich Schmerz und Trauer bereits nach wenigen Tagen in Zuversicht und Lebensfreude verwandelt hätten. Im Gegenteil: da gilt es mit der Trauer leben zu lernen! Manche Menschen brauche Monate, wenn nicht Jahre, bis sie wieder Boden unter den Füßen spüren, bis sie eine neue Perspektive für ihr Leben haben, bis sie die Welt wieder durch den Auferstandnen hindurch sehen können!

Der Auferstehungsglaube braucht Zeit, braucht Abstand, so wie auch ich erst mal von der Skulptur ein paar Schritte zurücktreten muss, um sie zu durch-schauen, im wahrsten Sinne des Wortes hindurch schauen zu können und ihre ganze Aussage auf mich wirken zu lassen.

Auch die 3 Frauen im Evangelium werden erst mal zurückgeschickt, weg vom Grab, in den Abstand:
„Er ist nicht hier“ ! Geht zurück in euren Alltag, in euer Leben: dort werdet ihr ihn finden. Und das nicht nach nur 3 Tagen!
Unser Bekenntnis: „Am 3.Tage auferstanden von den Toten“ will keinen Zeitraum beschreiben, kein Datum setzen, sondern greift das jüdische Verständnis auf, dass ein Verstorbener am 3. Tag wirklich tot ist! Auferstehungsglaube entsteht nicht am Grab.
Die 3 Frauen hören zwar dieses „Er ist auferstanden“, aber sie begreifen es nicht. Die Botschaft erreicht nicht ihre Herzen. Sie können nichts damit anfangen. Erst Tage später….mitten im Leben begegnen sie dem Auferstandenen und da fängt ein Erleben und Begreifen an, ein Perspektivwechsel einhergehend mit der Erfahrung „Hier ist er!“, das im Nachhinein dann als Auferstehungsglaube deutbar ist und in die biblischen Zeugnisse eingeht.

Auferstehungsglaube geht einher mit Veränderungs-erfahrungen mitten im Leben. Ganz persönlichen Neuanfängen und Aufbrüchen.
Von solchen Veränderungen berichtet Paulus dann: z.B.:
* von Petrus, der durch seinen Verrat an Jesus nach dem 3maligen Hahnkrähen, nicht nur in Trauer gefangen, sondern auch mit Schuldgefühlen belastet ist und der durch die Begegnung mit dem Auferstandenen Vergebung erfährt und mit einem neuen Selbst-wertgefühl ins Leben blickt
* von den Jüngern, die Karfreitag ängstlich davon gelaufen sind und nun durch de Begegnung mit dem Auferstandenen von Schuld und Angst befreit in Aufbruchstimung geraten
* und von sich selbst, dem Paulus, der ja Saulus war, ein Christenverfolger, mit Blindheit geschlagen, bevor die Begegnung mit dem Auferstandenen ihn nicht nur aus dem sprichwörtlichen Staub aufgehoben hat, sondern ihm eine neue Lebensaufgabe als Apostel geschenkt hat!
Und diese Liste ließe sich noch fortsetzen:
Ostern wird es dann und dort, wo Menschen dem Aufer-standenen begegnen, dem neuen Leben, einer neuen Perspektive, einer neuen Sicht aufs Leben, neuen Möglichkeiten.
Osten wird es dann und dort….tagelang auch noch nach dem 3. Tag, wochenlang danach, Jahrelang danach, Jahrhunderte lang danach, Jahrtausende lang danach, heute noch
– wo Menschen dem Auferstandenen begegnen, neu durchatmen können, das Leben mit allen Sinnen neu spüren können und sie merken: das Leben lacht mich wieder an!!
Ostern geht es um einen Perspektivwechsel: ich fange an, das Leben aus der Perspektive Gottes zu sehen.
Ostern heißt, ich beginne durch den Auferstanden die Welt zu sehen und durch ihn in die Welt zu gehen!
……so wie man tatsächlich durch die Skulptur von Helmut Droll hindurchgehen kann!!
Und durch dieses Hindurchgehen wird mir die ganze Doppeldeutigkeit von Karfreitag und Ostern bewusst.
Drehen Sie das Lesezeichen mal um und gern vor und zurück (vormachen):

Je nach dem von welcher Seite ich aufs Kreuz und durch das Kreuz blicke, ergibt sich eine andere Sicht der Dinge:

Blicke ich mit dem Sonnenlicht gegen den Wald, so begegne ich einem Christus, der von göttlicher Herrlichkeit umgeben ist.
Stehe ich aber im Wald, dann hebt sich im dunklen Hinter-grund des Kreuzes ein Christus ab, der den Blick in die helle Landschaft freigibt.
Ich sehe Christus in jeweils anderm Licht und ich sehe die Welt in je anderm Licht.
Der Wechsel von An-sicht zur Durch-sicht ist das Spannende. Helmut Droll kommentiert selbst:
„Es ist ja nicht allein, dass der Gekreuzigte und Aufer-standene alle Blicke auf sich ziehen möchte, er möchte auch unsern Blick auf die Welt und auf uns selbst erneuen und freigeben, so dass wir durch ihn sehen lernen.“

Wenn in Bad Kissingen also die Sonne scheint und ich den Tag nutze, um mich auf den „Weg der Besinnung“ zu machen,
dann erstrahlt die Skulptur „Ausblick“ schon von weitem und gibt den Blick frei auf den dahinter stehenden Wald, in dem der Wind die Blätter bewegt und dadurch die Christus -Figur zum Leben erweckt,
dann bekomme ich ein Gespür dafür, was es heißt: hier in der Welt, hier ist der Auferstandene lebendig.
Dann ist Ostern in meinem Herzen. Vielleicht mitten im Juni….oder….August. Amen

Predigt zu 1. Kor 15, 1- 11 und Markus 16, 1-8 vom 22. April 2019 in der Nathan-Söderblom-Kirche, Reinbek-West

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