Ungefähr 60 Jahre nachdem Jesus auf einer Eselin in Jerusalem einritt und das Volk ihm zujubelte und mit Palmenzweigen wedelte…..ungefähr 60 Jahre danach lebt Johannes auf Patmos, einer kleinen Insel im Mittelmeer vor Kleinasien. Er ist dorthin verbannt worden. Allein, fernab von Familie und Freunden, vor allen Dingen fernab von seinen christlichen Schwestern und Brüdern fristet Johannes sein Dasein. Ein Dasein voller Angst und Schrecken und schier ausweglos erscheinenden Fragen:
Werde ich einmal wieder nach Hause dürfen?
Oder wird mir noch Schlimmeres bevorstehen als diese Verbannung?
Seit Domitian in Rom Kaiser geworden ist, sind die Zeiten für Christen hart geworden. Domitian lässt sich nicht nur mit „Herr und Gott“ anreden, nein er lässt an vielen Orten auch noch Statuen von sich aufstellen, vor denen ihm das Volk zu huldigen hatte.
Einer solchen Anordnung konnten Christen einfach nicht Folge leisten. Unweigerlich wurden sie zur Opposition. Unweigerlich wurden sie hinein getrieben in eine durchaus politische Opposition, denn „Herr und Gott“, das war für sie nur einer: Jesus Christus! Und sonst keiner! Da gab es kein raushalten! So begannen für die Christen Verfolgungen und Verhaftungen, Folter und Schrecken, Todesstrafen, Angst und ….eben….Verbannungen.
Einer von den Verbannten ist Johannes. Er sitzt auf Patmos wie in einem Gefängnis und grübelt über Gegenwart und Zukunft:
Wie wird es weitergehen?
Wird das Böse auf dieser Erde wirklich triumphieren?
Im Moment sieht es ja so aus: wo kann man denn überhaupt noch merken, dass Gott allein Herr der Welt ist? Wenn doch alles der Macht und dem Einfluss des Kaisers unterliegt? Vor lauter Grübeln wird Johannes fast verrückt.
So geht es vielen von uns auch: zuhause, eingesperrt wie in einem Gefängnis, denn „stay at home“, bleib zuhause heißt die Losung weltweit. Und wir bleiben zuhaus, freiwillig bzw der Not gehorchend zum Schutz anderer Menschen, zur Unterbrechung der Ansteckungsrate. Wie Johannes wissen wir nicht, was noch kommt, wie’s weitergeht mit dem Coronavirus. Eifrig wird nach einem Impfstoff geforscht. Optimisten rechnen in Monaten….12….18, Realisten in Jahren…2….3….4…? Da komme ich schon ins Grübeln, was werden soll aus meinem Leben…wie ich einen sooooo langen Atem entwickeln soll, ohne depressiv zu werden.
Doch dann… eines Tags…besser vielleicht eines Nachts hat Johannes einen Traum:
In einer bilderreichen und farbenprächtigen Vision ist es ihm erlaubt, Gottes neue Welt zu schauen! In verschiedenen traumhaften Sequenzen erlebt er Gott als den wahren Weltenherrscher auf dem Himmelsthron, der trotz aller Schrecken auf Erden, diese Welt zusammenhält und lenkt.
Johannes schreibt diese Traumbilder auf und schickt sie als Brief an verschieden christliche Gemeinden und später geht dieser Brief als „die Offenbarung des Johannes“ in unser Neues Testament ein.
Wie wir das aus unseren eigenen Träumen kennen, erscheinen Worte und Bilder der Offenbarung wie aus einer anderen Welt, bizarr, verschlüsselt, kaum zu verstehen.
Unser Predigttext heute ist so eine Traumszene aus dem 5. Kapitel der Johannes-Offenbarung.
Dort heißt es:
„In der rechten Hand dessen, der auf dem Thron saß, sah ich eine Buchrolle. Sie war innen und außen beschrieben und mit sieben Siegeln verschlossen. Und ich sah einen mächtigen Engel, der mit lauter Stimme fragte: „Wer ist würdig, die Siegel aufzubrechen und das Buch zu öffnen?“
Aber es gab niemand, der es öffnen und hineinsehen konnte, weder im Himmel noch auf der Erde noch unter der Erde.
Ich weinte sehr, weil niemand gefunden wurde, der würdig war, das Buch zu öffnen und hineinzusehen. Da sagte einer der Ältesten zu mir: „Hör auf zu weinen! Der Löwe aus dem Stamm Juda und Nachkomme Davids hat den Sieg errungen. Er ist würdig; er wird die 7 Siegel aufbrechen und das Buch öffnen.“
Diese Traumszene wirkt auf mich wie ein Buch mit 7 Siegeln! Was für eine merkwürdige Szene, was für ein verschlüsselter Sinn!
Johannes schaut Gott auf seinem Thron und in seiner Hand eine Buchrolle. In seiner rechten Hand hält Gott das Buch des Lebens. Innen und außen ist es voll beschrieben. Die ganze Menschheitsgeschichte ist darin aufbewahrt: Freud und Leid, Kriege und Eroberungen, Friedenszeiten und Fortschritt, Kultur und Völkerverständigung, Großreiche entstehen und zerbrechen, Völker kommen und gehen, …alles,….alles ist klar und sinnhaft gebunden in Gottes großem Lebensbuch!
Aber für Johannes ist das Buch verschlossen. Nicht nur für ihn…, niemand findet sich, das Buch zu öffnen. Ohnmächtig und allein gelassen mit seiner Neugier steht Johannes vor dem Lauf der Welt. Verstehen ist ihm nicht vergönnt!
Auch 2000 Jahre später,…denke ich…., können wir uns getrost an seine Seite stellen.
Wissenschaft, Technik und Fortschritt haben ungeahnte Ausmaße erreicht, …. und doch,… stehen wir vor dem Lauf der Welt wie vor einem Buch mit 7 Siegeln.
Was hält die Welt im Innersten zusammen?
Wohin entwickelt sich die Menschheitsgeschichte?
Gibt es überhaupt ein Ziel, einen endgültigen Sinn?
Johannes ist über die Erfahrung seiner menschlichen Grenzen, seiner Ohnmacht, seinem Verdammtsein zum Vorläufigen so erschüttert, dass er weinen muss. Diese traurige Ernüchterung des Johannes imponiert mir. Demütig/ehrfürchtig akzeptiert Johannes die Verschlossenheit des großen Lebensbuches.
Die Geschichte der letzten 100/200 Jahre dagegen kommt mir so vor, als ob wir Menschen hartnäckig versuchten, die Siegel Stück für Stück aufzubrechen. Forscherdrang und Erkenntniswillen haben immense Verstehens-Zusammenhänge deutlich gemacht!
Chemie, Physik und Biologie haben Erkenntnisse ungeheuren Ausmaßes über das Leben und seine Bausteine erforscht. Besonders was medizinisch heutzutage möglich ist, raubt uns manchmal den Atem. Und doch,….: sind wir damit dem Geheimnis des Lebens, wie es in Gottes großem Buch aufgezeichnet ist, nähergekommen?
Scheinbar plötzlich tritt ein neues Virus auf den Plan der Weltgeschichte -das Corona-Virus oder die Krankheit Corvid-19 und hält die ganze Welt in Atem! Oder besser gefangen im Lock-Down des ganzen öffentlichen Lebens: Geschäfte sind zu, Kitas und Schulen auch, Spiel- und Sportplätze gesperrt, die Weltwirtschaft liegt brach, die Lieferketten still und wir Menschen müssen 1,5 bis 2 Meter Abstand voneinander halten. Nach Wochen von home office und zuhause bleiben liegen die Nerven blank und es mehren sich die Stimmen, die nach Freiheit und den Grundrechten rufen. Dabei könnte das, was am Horizont sich abzeichnet uns noch schlimmer zusetzen: der Klimawandel! Die Ursache ist jeweils dieselbe: das ungehemmte Ausbeuten dieses Planeten und seiner Ressourcen. In einer endlichen Welt wird dem Götzen des immerwährenden Wachstums gehuldigt und nicht verstanden, dass eine endliche Welt und Dauerwachstum ein Widerspruch in sich selbst ist. Wir opfern Artenvielfalt und die Zukunft unserer Kinder und Enkel auf dem Altar der entfesselten Aktienmärkte. Haben wir nicht -nach wie vor- genauso wie Johannes Grund genug, über den Zustand unserer Welt zu weinen und über unser Handeln nachzudenken und uns zu fragen: wo soll das alles noch hinführen?
Es ist zum Heulen. Und tatsächlich: Johannes weint ….und wird getröstet!
Trost wird ihm gegeben durch eine großartige Entlastung:
…den…. EINEN gibt es, für den ist das Buch des Lebens kein Buch mit 7 Siegeln!.
Für den ist es offenbar und klar!
Dieser Eine, …..der Nachkomme Davids, …..ist Jesus Christus! Johannes träumt von ihm als einem Löwen. Ein bizarres Traumbild für Jesus, aber ich denke, es soll das Majestätische Jesu unterstreichen: so wie der Löwe der König der Tiere ist, so ist Jesus der Christus, der Retter, der Heiland für uns Menschen. Ihm ist alles Leben in seiner ganzen Tiefe und Fülle zugänglich. Auch unser kleines, unbedeutendes, eigenes Leben; von Krankheit gebeutelt, verzagt und verzweifelt, um Hoffnung und Genesung ringend; jedes Leben aus Gottes großem Buch ist ihm offenbar. Er hält die Schlüssel zu diesem Buch Gottes in seiner Hand, wir brauchen uns um die Öffnung dieses Buches, um sein Verstehen nicht zu mühen. Wir dürfen bescheiden sein, demütig und das Öffnen des großen Lebensbuches getrost Jesus überlassen. Unser Wirtschaften muss bescheidener werden, unser ökologischer Fußabdruck muss kleiner werden, damit diese von uns und Gott geliebte Erde eine Zukunft hat. Ich träume genau wie Johannes von einer Welt, von einer Menschheit, die im Einklang mit Gottes Geboten lebt. Die die Kreisläufe der Natur respektiert und nur nachhaltig und sorgsam in diese Kreisläufe eingreift, ohne sie zu zerstören. Johannes hat dieser Traum Mut gemacht; er weiß jetzt: auch wenn er selbst die Welt und ihre Ungerechtigkeiten nie bis ins Letzte entschlüsseln wird, auch wenn er nicht weiß, was für ein Ende es mit ihm und seiner Verbannung nehmen wird, eins weiß er: Jesus ist der Schlüssel zum Leben!
Das tröstet ihn, das nährt seinen Glauben in schwieriger Zeit, das gibt Kraft so manche Herausforderung und unvorhergesehene Widrigkeit des Schicksals anzunehmen.
Liebe Gemeinde,
Vielleicht fühlt sich Ihr „stay at home“ auch wie eine Verbannung an. Vielleicht haben Sie Angehörige im Pflegeheim, verbannt aus der Fülle des Lebens, denn Sie können sie z.Zt. nicht besuchen. Vielleicht zweifeln Sie, was werden soll aus unserer Welt, wie wir die Wirtschaftskrise meistern sollen und wohin das alles noch führen soll?! Ohnmächtig stehe ich vor dem, was mit unsrer Welt los ist z.Zt. und fasse es nicht! Doch auch für mich, für Sie, für uns alle uns gilt dieser Satz: Jesus ist der Schlüssel zum Leben!
Das lässt mich zurücktreten, gibt Abstand, rückt die Perspektive zurecht, lässt mich durchatmen und ein Stück Demut neu finden. Und dann habe ich die Chance es zu erleben: Trost weitet mein Herz und wärmt mein Gemüt: ein neuer Tag kann beginnen.
Amen